In Istanbul droht eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes. 300.000 Gebäude in der Millionenstadt wurden auf die schwarze Liste gesetzt, da sie im Falle eines schweren Erdbebens als einsturzgefährdet gelten. Laut Experten könnte die Hälfte der Stadtbevölkerung von den Folgen betroffen sein. Besonders problematisch sind Bauwerke, die vor dem Jahr 2000 errichtet wurden, da sie nicht den aktuellen Sicherheitsstandards entsprechen.

Prof. Dr. Ali Koçak warnt vor dramatischen Folgen

Anlässlich der „Erdbeben-Woche“ vom 1. bis 7. März sprach der Bauingenieur Prof. Dr. Ali Koçak von der Technischen Universität Yildiz über die prekäre Lage in Istanbul. Trotz der hohen Erdbebengefahr seien viele Gebäude von minderwertiger Qualität. Koçak betont: „In einer Region mit solch hohem Erdbebenrisiko müssen Gebäude, Straßen und Brücken erdbebensicher gebaut werden. Doch in Istanbul entspricht dies oft nicht der Realität.“

Vor allem öffentliche Gebäude wie Krankenhäuser, Feuerwehrstationen und Schulen müssten dringend gesichert werden, da sie nach einem Erdbeben weiterhin funktionsfähig bleiben müssen. Ebenso sei es essenziell, dass Supermärkte, Wasserversorgungssysteme und Kanalisation nicht kollabieren.

„2000 vor erbaute Gebäude sind extrem unsicher“

Die Gefahr in Istanbul sei besonders hoch, da viele Wohngebäude vor 2000 errichtet wurden und damit nicht den aktuellen Baustandards entsprechen. „Heute hat Istanbul vermutlich eine Bevölkerung von 25 Millionen Menschen. Wir wissen, dass insbesondere Gebäude aus der Zeit vor 2000 sehr schlechte Bauqualität haben. Kontrollmechanismen waren damals nicht ausreichend etabliert“, so Koçak weiter.

Laut seinen Berechnungen leben rund 1,2 bis 1,3 Millionen Menschen in diesen 300.000 gefährdeten Gebäuden. „Wenn ein großes Erdbeben eintritt, könnte die Hälfte der Stadtbevölkerung betroffen sein. Die potenziellen Verluste sind unvorstellbar.“

Hohe Kosten, aber keine Alternative

Koçak fordert ein Umdenken in der Stadtplanung. „Wir müssen uns von gewissen Annehmlichkeiten trennen und uns darauf konzentrieren, unser Stadtbild sicherer zu machen. Die Priorität sollte darauf liegen, Gebäude zu erneuern oder zumindest zu verstärken. Auch wenn die Kosten hoch sind, sind die potenziellen Verluste an Menschenleben um ein Vielfaches höher.“

Das Hauptproblem sei, dass viele der unsicheren Gebäude unter fragwürdigen Bedingungen gebaut wurden. „Man kann ein sechsstöckiges Gebäude nicht als illegale Hütte bezeichnen, aber tatsächlich sind viele dieser Bauten auf demselben Niveau errichtet worden – ohne Ingenieure, ohne fachliche Überprüfung.“

Nicht nur Istanbul ist betroffen

Experten weisen darauf hin, dass nicht nur Istanbul in Gefahr ist. Auch in anderen Regionen der Türkei wird mit starken Erdbeben gerechnet. „Unsere Kollegen aus der Geologie sagen, dass es in Adana und sogar auf Zypern bald zu Erdbeben kommen könnte. Leider sind auch dort die Bauqualitäten genauso mangelhaft wie in Istanbul. Die gesamte Türkei steht vor einer großen Herausforderung.“

Notwendigkeit einer umfassenden Sanierung

Koçak appelliert an die Regierung und die Kommunen, mehr Verantwortung zu übernehmen: „Wir brauchen eine enge Zusammenarbeit zwischen der Zentralregierung, den Städten, Universitäten und Ingenieursverbänden. Nur wenn wir gemeinsam handeln, können wir die Folgen eines Erdbebens minimieren.“

In vielen Fällen sei es notwendig, Gebäude entweder abzureißen oder sie umfassend zu verstärken. „Wir dürfen nicht länger warten. Wenn das nächste große Erdbeben kommt, wird es für viele Menschen zu spät sein.“