In den letzten Jahrzehnten hat sich die demografische Landschaft Deutschlands erheblich gewandelt, insbesondere durch die Ankunft von Einwanderern aus verschiedenen Teilen der Welt. Interessanterweise beginnen deutsche Unternehmen jetzt, das enorme wirtschaftliche Potenzial dieser Gemeinschaften zu erkennen und anzuzapfen. Jahrzehnte nach den ersten Gastarbeiterwellen entdeckt die deutsche Verbraucherindustrie Einwanderer als eine kaufkräftige und einflussreiche Zielgruppe.

Ein markantes Beispiel für diese Verschiebung ist die Bankenbranche. Kürzlich hat die Targobank, vormals als Citibank bekannt, mit der Einführung von „Bankadas“ eine Initiative gestartet, um gezielt ihre türkischsprachigen Kunden anzusprechen. Dies folgt dem Schritt der Deutschen Bank, die bereits 2006 mit „Bankamiz“ ein ähnliches Angebot für türkischstämmige Privatkunden entwickelt hatte. Diese Banken bieten nicht nur türkischsprachige Beratungen an, sondern locken auch mit kostenfreien Überweisungen in die Türkei. Nach Angaben der Deutschen Bank nutzen bereits 75.000 türkische Kunden dieses Angebot, während die Targobank über 200.000 Kunden betreut.

In Deutschland leben heute knapp drei Millionen Türken und türkischstämmige Deutsche. Etwa die Hälfte von ihnen gehört zur werberelevanten Zielgruppe der 15- bis 40-Jährigen. Marktstudien schätzen die Kaufkraft der türkischstämmigen Community auf beeindruckende 17 Milliarden Euro. Lange Zeit schienen die deutschen Konzerne die Kaufkraft der Einwanderer zu übersehen, doch nun beginnen viele mit zielgerichteter, anderssprachiger Werbung.

Die deutsche Industrie nutzt dabei die Präferenzen türkischstämmiger Käufer, die oft in türkischen Supermärkten einkaufen, türkisches Fernsehen konsumieren und türkische Produkte bevorzugen. In Deutschland wird geschätzt, dass in türkischen Supermärkten jährlich etwa zehn Milliarden Euro umgesetzt werden. Bisher profitierten hauptsächlich türkische Unternehmer von diesem Marktsegment. Doch nun wollen auch deutsche Konzerne dieses Potenzial für sich gewinnen. So bietet beispielsweise Haribo Gummibärchen ohne Schweine-Gelatine an, inklusive türkischer Produktbeschriftung. Maggi bietet „helal“-Tütensuppen an, und auch der Kekshersteller Bahlsen wirbt in türkischer Sprache.

Interessanterweise bleibt diese gezielte Werbung für die deutschsprachige Bevölkerung oft unbemerkt, da die Unternehmen hauptsächlich im türkischen Fernsehen und in türkischen Zeitungen werben. Dieser Ansatz hat für die deutschen Firmen den Vorteil, dass ihre deutsche Kernkundschaft nicht beeinträchtigt wird. Es ist eine fein abgestimmte Strategie, die darauf abzielt, eine neue Klientel zu erreichen, ohne die bestehende zu verunsichern oder abzuschrecken.

Dieser Trend zur zielgruppenspezifischen Ansprache ist nicht nur auf Deutschland beschränkt. In Österreich gab es beispielsweise kontroverse Reaktionen, als eine Molkerei ihre Milchpackungen zweisprachig bedruckte. Dies führte zu lauten Aufschreien und Boykott-Drohungen von Rechtspopulisten, die von einer „schleichenden Islamisierung Österreichs“ sprachen. Im Gegensatz dazu wird in anderen Ländern, wie Großbritannien oder den USA, mehrsprachige Werbung im Rahmen des „Ethnomarketings“ gelassener betrachtet und ist weit verbreitet.

Die Niederlande bieten ein weiteres Beispiel für den Erfolg mehrsprachiger Marketingstrategien. Die niederländische Mobilfunkgesellschaft KPN führte bereits 2005 in Belgien die Mobilfunk-Marke Ay Yildiz ein und gewann dadurch wesentliche Marktanteile. Deutsche Konzerne beginnen nun, diesem Beispiel zu folgen und die Bedeutung des Ethnomarketings zu erkennen.

Diese Entwicklung zeigt, dass die deutsche Wirtschaft langsam aber sicher die Bedeutung und den Wert der Einwanderer als Konsumenten erkennt. Diese Zielgruppe, die lange Zeit übersehen wurde, bietet nun ein neues Spektrum an Möglichkeiten für Unternehmen, die bereit sind, ihre Marketingstrategien anzupassen und zu diversifizieren. Die Fähigkeit, verschiedene kulturelle Hintergründe zu berücksichtigen und anzusprechen, wird in einer zunehmend globalisierten und vielfältigen Gesellschaft zu einem wesentlichen Faktor für den Erfolg im Wettbewerb.

Das Verständnis für die Bedürfnisse und Vorlieben unterschiedlicher Zielgruppen ist entscheidend. Firmen, die sich dieser Herausforderung stellen und ihre Strategien entsprechend anpassen, können nicht nur neue Märkte erschließen, sondern auch zur gesellschaftlichen Integration beitragen. Es ist ein Schritt hin zu einer inklusiveren und vielfältigeren Wirtschaft, die die Realitäten einer global vernetzten Welt widerspiegelt.