Am Sonntag feierten syrische Flüchtlinge in der Türkei den Sturz der Regierung von Baschar al-Assad mit großer Freude. In Städten wie Kilis und Hatay, nahe der syrischen Grenze, versammelten sich Tausende Menschen, schwenkten syrische und türkische Flaggen und äußerten ihren Wunsch, bald in ihre Heimat zurückzukehren.

Hoffnungen auf Rückkehr und Neubeginn

Mit dem Ende von Assads Herrschaft sehen viele syrische Flüchtlinge in der Türkei, die derzeit etwa drei Millionen Syrer beherbergt, die Möglichkeit, in ihre Heimat zurückzukehren. „Wir sind jetzt frei, jeder sollte in sein Heimatland zurückkehren“, sagte Mahmud Esma an einem Grenzübergang in Hatay.

Türkei als Schlüsselakteur im Syrienkonflikt

Seit Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 hat die Türkei die syrische Opposition unterstützt. Dabei spielte Ankara eine entscheidende Rolle, indem es eine Pufferzone an der Grenze schuf und mehrere Militäroperationen gegen die Terrormiliz Islamischer Staat sowie kurdische Kräfte durchführte. Letztere, insbesondere die YPG, sieht die Türkei als Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit.

Der jüngste Vormarsch oppositioneller Kräfte, der in nur zehn Tagen zum Fall von Damaskus führte, scheint ohne die Zustimmung der Türkei kaum möglich gewesen zu sein. Offiziell bestreitet Ankara jedoch jede direkte Beteiligung. Der türkische Außenminister Hakan Fidan betonte, die Türkei wolle die territoriale Integrität Syriens und sichere Bedingungen für die Rückkehr der Flüchtlinge gewährleisten.

Herausforderungen und Risiken für die Türkei

Obwohl der Sturz der Assad-Regierung Ankaras strategischen Zielen entgegenkommt, birgt die neue Lage erhebliche Risiken:

  1. Neue Flüchtlingswelle: Sollte Chaos ausbrechen, könnte dies zu einem erneuten Zustrom von Flüchtlingen an die türkische Grenze führen.
  2. Kurdische Autonomiebestrebungen: Die Türkei befürchtet eine territoriale Zersplitterung Syriens, bei der kurdische Kräfte eine autonome Region entlang der türkischen Grenze etablieren könnten.
  3. Zusammenarbeit mit internationalen Akteuren: Der Fall Assads könnte die Spannungen mit Russland und dem Iran erhöhen, die bisher als Unterstützer des Assad-Regimes agierten.

Sinan Ulgen vom Zentrum für Wirtschafts- und Außenpolitikstudien in Istanbul betonte, dass die Türkei vor allem ein stabiles Syrien anstrebt. Nur so könne wirtschaftliche Hilfe gezielt eingesetzt werden, um die Bedingungen für die Rückkehr von Flüchtlingen zu schaffen.

Wirtschaftliche und politische Ziele Ankaras

Für die Türkei bietet sich nun die Möglichkeit, ihre südlichen Grenzen zu sichern und die Bedingungen für eine langfristige Stabilität in Syrien zu schaffen. Dies könnte auch den Einfluss der Türkei bei zukünftigen Verhandlungen über die politische Zukunft Syriens stärken.

Die Regierung in Ankara hat seit 2022 versucht, die Beziehungen zu Syrien zu normalisieren. Dabei scheiterte eine Einigung bislang an Assads Forderung nach einem vollständigen Abzug türkischer Truppen aus Nordsyrien. Ankara hingegen hält die Präsenz seiner Truppen für notwendig, um Bedrohungen durch kurdische Milizen abzuwehren.

Offene Fragen zur Rolle extremistischer Gruppen

Eine besondere Herausforderung stellt die Beziehung der Türkei zu extremistischen Gruppen wie Hayat Tahrir al-Sham (HTS) dar. Obwohl die Türkei HTS offiziell als Terrororganisation einstuft, wird Ankara eine gewisse Kontrolle über die Gruppe nachgesagt. Analysten warnen jedoch vor den Risiken, die mit einer starken jihadistischen Präsenz in der Region verbunden sind.

„HTS ist eine unberechenbare Kraft. Will die Türkei wirklich, dass eine jihadistische Organisation ein Nachbarland regiert?“, fragte Gonul Tol vom Middle East Institute.

Ausblick: Stabilität oder neue Konflikte?

Während sich die internationale Gemeinschaft auf eine neue Ära in Syrien vorbereitet, steht die Türkei vor der Herausforderung, ihre strategischen Interessen in einer zunehmend komplexen Lage zu wahren. Die nächsten Wochen und Monate werden entscheidend sein, um die Stabilität in der Region zu fördern und mögliche Konflikte mit den Unterstützern des ehemaligen Regimes zu vermeiden.

Ein stabiler Übergang in Syrien könnte der Türkei langfristig ermöglichen, ihre politischen und wirtschaftlichen Ziele zu erreichen. Dies würde nicht nur die Sicherheit entlang der türkischen Südgrenze stärken, sondern auch die Grundlage für die Rückkehr hunderttausender Flüchtlinge schaffen.

Fazit

Der Sturz von Assads Regierung markiert einen Wendepunkt für Syrien und die Türkei. Während die Euphorie unter den syrischen Flüchtlingen in der Türkei groß ist, bleibt die Zukunft ungewiss. Ankara muss zwischen Chancen und Risiken abwägen, um seine Ziele in einer Region zu sichern, die weiterhin von Instabilität und geopolitischen Spannungen geprägt ist.