Die Debatte um die offiziellen Inflationszahlen der Türkei hat erneut Fahrt aufgenommen. Das Türkische Statistische Institut (TÜİK) hat für den Monat Juni 2024 eine jährliche Inflationsrate von 71,6 % bekanntgegeben. Diese Zahl stößt jedoch auf erheblichen Widerstand und führt zu der provokanten Frage: „Eyy TÜİK, wo kaufst du eigentlich ein?“ Denn während TÜİK von einer sinkenden Inflation spricht, sehen andere Institutionen die Lage deutlich kritischer.

Die Inflationsrate, die von TÜİK veröffentlicht wurde, steht in starkem Kontrast zu den Berechnungen anderer renommierter Einrichtungen. So hat die İstanbul Ticaret Odası (İTO) die jährliche Inflation für Juni 2024 mit 82,1 % beziffert, während die unabhängige Enflasyon Araştırma Grubu (ENAG) sogar eine jährliche Inflation von 113 % errechnet hat. Dieser Unterschied wirft erhebliche Fragen zur Glaubwürdigkeit der offiziellen Zahlen auf.

Steuererhöhungen und Preissteigerungen verzerrt

Ein Grund für die niedriger erscheinende Inflationsrate im Juni könnte die Verschiebung der Preissteigerungen auf den Juli sein. Die türkische Regierung hat viele Steuererhöhungen und andere Preissteigerungen bewusst auf den Juli verlegt, um die Juni-Zahlen positiver erscheinen zu lassen. Diese Verzögerung könnte den Eindruck erwecken, dass die Inflation sinkt, obwohl die Preise in der Realität weiter steigen.

Der türkische Finanzminister Mehmet Şimşek, der im Juni 2023 sein Amt angetreten hat, sprach von einem Abwärtstrend der Inflation, nachdem diese im Mai mit 75,45 % ihren Höhepunkt erreicht hatte. Der Juni zeigte dann eine leichte Entspannung mit einem Rückgang um etwa 4 Prozentpunkte, was allerdings auf den Basiseffekt zurückzuführen ist. Die tatsächlichen Preiserhöhungen, die die Bevölkerung empfindet, bleiben weiterhin hoch.

Laut TÜİK stieg der Verbraucherpreisindex (TÜFE) im Juni 2024 um 1,64 % gegenüber dem Vormonat, während die jährliche Rate bei 71,6 % lag. Besonders auffällig waren dabei die Preissteigerungen in bestimmten Bereichen: Die höchsten monatlichen Steigerungen verzeichneten die Wohnkosten mit 3,79 %, während die Bildungskosten mit 107,11 % im Jahresvergleich den größten Anstieg verzeichneten. Auch die Preise für Wohnraum stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 94,72 %, die Preise für Restaurants und Hotels um 90,67 % und die Gesundheitskosten um 78,51 %. Selbst die Lebensmittelpreise stiegen im Jahresvergleich um 68,08 %.

Alternative Berechnungen offenbaren größere Preissteigerungen

Die alternative Inflationsberechnung von ENAG zeigt ein noch düstereres Bild. Laut ENAG stieg der Verbraucherpreisindex (E-TÜFE) im Juni um 4,27 % im Vergleich zum Vormonat und erreichte im Jahresvergleich eine Inflationsrate von 113,08 %. Besonders betroffen waren dabei die Preise für Bekleidung und Schuhe, die um 9,3 % stiegen, gefolgt von Wohnkosten (7,69 %) und verschiedenen Waren und Dienstleistungen (6,67 %).

Die Diskrepanz zwischen den verschiedenen Berechnungen zeigt, wie unterschiedlich die wirtschaftliche Realität in der Türkei wahrgenommen wird. Während TÜİK eine moderatere Inflationsrate angibt, die teilweise politisch motiviert sein könnte, zeigen ENAG und İTO ein deutlich pessimistischeres Bild, das näher an der alltäglichen Erfahrung vieler Bürger liegt.

Internationale Perspektive: Die Türkei auf globalem Spitzenplatz

Auch im internationalen Vergleich schneidet die Türkei nicht gut ab. Trotz des leichten Rückgangs im Juni bleibt die Türkei mit einer jährlichen Inflationsrate von 71,6 % weiterhin das Land mit der höchsten Inflation in Europa und belegt weltweit den dritten Platz hinter Argentinien (276 %) und Syrien (140 %). Die zweitgrößte Inflation in Europa verzeichnet Russland mit 8,3 %, gefolgt von Island mit 5,8 %. Innerhalb der G20 ist die Türkei nach Argentinien das Land mit der zweithöchsten Inflationsrate.

Diese Zahlen verdeutlichen die schwierige wirtschaftliche Lage, in der sich die Türkei befindet, und lassen wenig Hoffnung auf eine baldige Verbesserung zu. Der erhebliche Unterschied zwischen den offiziellen Zahlen und den alternativen Berechnungen verstärkt das Misstrauen in die veröffentlichte Statistik und stellt die Frage nach der Transparenz und Genauigkeit der staatlichen Institutionen in den Vordergrund.

Insgesamt bleibt abzuwarten, wie sich die Preise in den kommenden Monaten entwickeln werden, insbesondere nach den angekündigten Steuererhöhungen im Juli. Für viele bleibt jedoch die Frage: Wo kauft TÜİK ein, um zu so optimistischen Inflationszahlen zu kommen?