In Deutschland leben etwa drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln, eine Bevölkerungsgruppe, die nicht nur kulturell, sondern auch wirtschaftlich eine bedeutsame Rolle spielt. Trotz ihrer beachtlichen Kaufkraft und spezifischen Bedürfnissen, insbesondere in Bezug auf islamkonforme Produkte, sind türkische Verbraucher in deutschen Supermärkten und bei Herstellern bisher kaum als Zielgruppe erkannt worden. Dies ist umso erstaunlicher, da die Kaufkraft dieser Gruppe, nach Schätzungen von Ömer Saglam, Geschäftsführer des türkischen Unternehmerverbandes Atiad, jährlich rund 17 Milliarden Euro beträgt.

Ein signifikantes Segment dieser Kaufkraft liegt im Bereich der islamkonformen, also “halal” zertifizierten Produkte. Der Begriff “halal” (türkisch helal) bedeutet “geeignet” oder “zulässig” und ist besonders in der Ernährung relevant, wo bestimmte Vorschriften, wie das Verbot von Alkohol und Schweinefleisch, eingehalten werden müssen. Die zweite und dritte Generation der in Deutschland lebenden Türken wünscht sich deutsche Markenprodukte, die diesen Anforderungen entsprechen, betont Engin Ergün, Geschäftsführer der Ethnomarketingagentur Ethno IQ.

Die Herausforderungen für Hersteller liegen jedoch im Vertrieb. Das Fehlen eines einheitlichen Filialsystems bei türkischen Lebensmittelgeschäften in Deutschland bedeutet, dass jeder einzelne Supermarkt individuell beliefert werden muss, ein Aufwand, den viele Hersteller scheuen. Folglich stammen bis zu 90 Prozent der Produkte in türkischen Supermärkten von Produzenten aus der Türkei. Dies verdeutlicht ein enormes, bisher ungenutztes Potenzial für lokale Hersteller.

Einige Unternehmen haben die Chance erkannt und sich nicht abschrecken lassen. So produziert beispielsweise die DMK Deutsche Milchkontor “halal” Produkte für den weltweiten Handel. Haribo bietet Gummibärchen ohne Schweinegelatine an, und Knorr verkauft Suppen, die in der Türkei hergestellt werden und auch in Deutschland nachgefragt sind. Diese Beispiele zeigen, dass es durchaus möglich ist, sich erfolgreich auf die Bedürfnisse türkischer Verbraucher einzustellen und dabei gleichzeitig die Prinzipien des Islam zu respektieren.

Doch ohne gezielte Werbung und ein fundiertes Verständnis für diese spezifische Zielgruppe wird der Erfolg ausbleiben. Ergün weist darauf hin, dass 80 Prozent der Türken in Deutschland türkisches Fernsehen schauen, was eine hervorragende Möglichkeit für zielgruppenspezifische Werbung bietet, besonders für Produkte, die eine detailliertere Erklärung benötigen. Ömer Saglam betont ebenfalls die Notwendigkeit einer zielgruppenspezifischen Werbung, um die Bedürfnisse der türkischen Konsumenten in Deutschland effektiv anzusprechen.

Trotz des offensichtlichen Potenzials zeigt sich in deutschen Lebensmittelhandelsketten noch Zurückhaltung. Michael Gerling, Geschäftsführer des Handelsforschungsinstituts EHI aus Köln, sieht das Problem nicht im Warenangebot, da es an Halal-Produkten nicht mangelt. Vielmehr vermutet er, dass die Nachfrage derzeit noch nicht ausreichend ist. Ein weiterer Grund könnte das umfassende Sortiment in türkischen Supermärkten sein, die eine größere Auswahl bieten als deutsche Lebensmittelhändler. “Halal ist auch immer eine Frage des Vertrauens”, ergänzt Saglam, was auf die Bedeutung einer authentischen und respektvollen Herangehensweise an diese spezielle Kundschaft hinweist.

Einige große Handelsketten wie Metro haben bereits reagiert und bieten ausgewählte Halal-Produkte in ihren Märkten an. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, um das Potenzial dieser Zielgruppe zu nutzen. Edeka berichtet von einer steigenden Nachfrage nach Halal-Produkten, insbesondere in den Bereichen Fleisch- und Wurstwaren, Molkereiprodukte sowie Süßwaren.

Trotz dieser positiven Entwicklungen bleibt der Marktanteil von Halal-Produkten im deutschen Lebensmittelhandel mit geschätzten 1 Prozent des Umsatzes gering, verglichen mit 5 Prozent bei Bioprodukten. Dies unterstreicht das enorme Wachstumspotenzial, das dieser Markt bietet.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kaufkraft türkischer Kunden in Deutschland ein beachtliches, aber bisher weitgehend ungenutztes Potenzial darstellt. Für Hersteller und Einzelhändler bietet sich hier die Chance, durch gezieltes Marketing und ein angepasstes Sortiment eine Brücke zu dieser wichtigen Zielgruppe zu schlagen. Es ist an der Zeit, die spezifischen Bedürfnisse und Wünsche der türkischen Verbraucher in Deutschland zu erkennen und zu bedienen, um nicht nur wirtschaftlich zu profitieren, sondern auch kulturelle Vielfalt und Integration zu fördern.

Abschließend lässt sich festhalten, dass der Markt für Halal-Produkte in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt, aber ein großes Potenzial birgt. Die Herausforderung für Hersteller und Einzelhändler liegt darin, das Vertrauen dieser Zielgruppe zu gewinnen und ihre spezifischen Bedürfnisse zu verstehen und zu bedienen. Dies erfordert eine Anpassung sowohl im Produktangebot als auch in der Marketingstrategie. Wer diese Herausforderung annimmt, kann nicht nur von der beachtlichen Kaufkraft der türkischen Kunden in Deutschland profitieren, sondern trägt auch zur kulturellen Bereicherung und Vielfalt bei. In einer immer stärker globalisierten Welt ist das Verständnis und die Wertschätzung kultureller Unterschiede ein entscheidender Faktor für den Erfolg im Handel.